In einer tiefenpsychologischen Analyse werden die Visionen des Einsiedlers und Heiligen Niklaus von Flüe interpretiert und Bezüge zur Sagen- und Mythenwelt aufgezeigt.
Durch die Deutungen wird die Dimension des «Priester-Arztes», der Therapeut und Seelsorger in sich vereint, beleuchtet – ein Bild, dem gerade heute wieder vermehrte Bedeutung zukommt.
Marie-Louise von Franz arbeitete analytisch und wissenschaftlich seit 1934 eng mit C.G. Jung zusammen. Ihre zahlreichen Publikationen in englischer und deutscher Sprache gehen Fragen der heutigen Zeit mit pragmatischem und symbolischem Sinn aus der Sicht der Analytischen Psychologie an. Bis zu ihrem Tod 1998 war sie als Schriftstellerin und Analytikerin in Küsnacht-Zürich tätig. Sie verstarb im 83. Altersjahr in den frühen Morgenstunden des 17. Februar 1998 in ihrem Heim in Küsnacht. Trotz des fortschreitenden körperlichen Zerfalls, den sie mit bewundernswertem Langmut ertrug, ist ihr Geist bis zu letzt so hell und lebendig wie eh und je geblieben. Davon zeugt auch der lucide Kommentar zu neu entdeckten Schriften des arabischen Alchemisten Ibn Umail (Senior), den sie noch zwei Jahre vor ihrem Tode fertiggestellt hat. In ihrem Schaffen lassen sich vier Schwerpunkte ausmachen. Zum einen war es die Alchemie mit ihrem Opus magnum, der Edition samt Übersetzung und Kommentar des dem Thomas von Aquin zugeschriebenen alchemistischen Traktates “Aurora Consurgens”, das als dritter Band von C.G. Jungs “Mysterium Coniunctionis” 1957 erschienen ist. An diesem Werk hat sie nach eigenen Angaben fünfzehn Jahre lang gearbeitet. Gleichzeitig aber hat sie in einem weiteren monumentalen Werk, dem weit über tausend Seiten starken Buch über die “Symbolik des Märchens”, das Ergebnis einer neunjährigen Arbeit, den Grundstein zur Märcheninterpretation im Rahmen der Jungschen Psychologie gelegt. Aus diesem Fundus und ihren vielfältigen Vorlesungen am Jung Institut und anderswo sind mit den Jahren eine ganze Reihe Publikationen auf diesem Gebiet entstanden, wodurch sie auch einem grösseren Publikum bekannt geworden ist. Ab den 1960er Jahren hat ein weiteres, aus ihrer Beschäftigung mit der Alchemie entwachsenes Gebiet, die Unus mundus Idee (d.h. die hinter dem Dualismus von Psyche und Materie zu ahnende Einheitswirklichkeit), ihren Geist bis in die späteste Zeit gefesselt. Daraus ist nebst einer Anzahl von Aufsätzen ihr drittes grosses Opus “Zahl und Zeit” (1970) entstanden. Der vierte Eckpunkt ihres Schaffens war selbstverständlich ihre psychotherapeutische Praxis, die ihr über Jahrzehnte hinweg einen Siebenstundentag beschert hat. Daraus ist ersichtlich, wie vielen Menschen sie eine Hilfe gewesen ist, und wie viele angehende Analytikerinnen und Analytiker sie als direkte Schülerin C.G. Jungs in den Geist dieser Psychologie initiiert hat. In ihrer analytischen Arbeit war sie oft von entwaffnender Direktheit (was unter Umständen von gewissen Leuten nicht ertragen wurde) sowie sehr konkret, treffend und diesseitig in ihren Traumdeutungen (eine Kunst, die sie hervorragend beherrschte). Zugleich war es ihr aber dank ihrer profunden Kenntnis der Strukturen des kollektiven Unbewussten gegeben, jene Rückverbindung zu den archetypischen Wurzeln herzustellen, welch die conditio sine qua non der Heilung psychischen Leidens bedeutet. Ihren Erfahrungsschatz auf diesem Gebiet hat sie in ihrem Buch “Psychotherapie” niedergelegt.